Kulturfahrt zu Zeugen der Renaissance
Am Morgen des 15. Juli 2016 machten sich an die 50 Mitglieder der Rhetikus Gesellschaft mit Mag. Albert Ruetz auf den Weg, um Zeugnisse der Renaissance in südlicher Nachbarschaft kennen zu lernen.
Die Fahrt begann regnerisch und kalt, hatte es doch in den Tagen zuvor Neuschnee auf den höheren Bergspitzen gegeben. Beeindruckend schön der Weg durch Graubünden, vorbei an der „Via Mala“, an bekannten Orten wie Zillis, Andeer, Splügen, Hinterrhein u.a. Richtung San Bernardino Pass.
Unweit südlich des Passes, in der Region Mesox, erreichten wir unser erstes Ziel, den Ort Mesocco. Auf einer Anhöhe besuchen wir die Kirche Sta. Maria del Castello. Die Kirche war Teil einer Burg, die im 16. Jh. von Bündnern eingenommen und zerstört wurde. Damit wollten die Graubündner dem Bischof von Mailand das Ausdehnen seines Hoheitsbereiches nach Norden in Richtung Chur verwehren. Teile der Burg und Kirche wurden in den 1960er Jahren von Studenten restauriert. Die Anfänge der Kirche gehen auf das 12. Jh. zurück. Die Kirche Sta. Maria ist ein Saalbau mit bemalter Kassettendecke aus dem 17. Jh. Ein sehenswertes Zeugnis von „Propaganda fidei“ ist die Freskenwand an der Nordseite. Die Fresken wurden in der Zeit zwischen 1459 und 1469 von Mitgliedern der Tessiner Künstlerfamilie Seregno gemalt (Christoforo und Nicolao Seregno). Dank des trockenen Klimas sind die Fresken sehr gut erhalten.
Im oberen Feld sehen wir eine Darstellung des Leidens Jesu: Kreuzweg, Gerichtsverhandlung und Verurteilung, die weinenden Frauen, Veronika mit dem Schweißtuch und die Kreuzigungsgruppe. Der Hintergrund zeigt eine Weltlandschaft, die typisch für die Malerei der Zeit ist. Im mittleren Band befindet sich eine Reihe von Heiligenfiguren als Zeugen für Jesus Christus und würdige Nachfolger. Das untere Band zeigt dem bäuerlichen Volk einen Arbeitskalender für die Monate des Jahres. Gemalt in differenziertem Stil – wahrscheinlich von jüngeren Seregnesi. Die Figuren zeigen noch keine individuellen Züge.
Weitere Informationen unter folgendem Link:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Santa_Maria_del_Castello_(Mesocco)
Nächste Station: Ponte Capriasca, südlich von Bellinzona, etwas nördlich von Lugano gelegen. “Einer von euch wird mich verraten”, verkündete Jesus während des letzten Abendmahls. Seine Jünger reagierten unterschiedlich: entsetzt, ungläubig, verzweifelt, wütend. Die berühmteste Darstellung dieses dramatischen Augenblicks malte Leonardo da Vinci im Speisesaal des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand an die Wand. Mehrere Kopien wurden angefertigt – eine davon im Tessin, in der Pfarrkirche Sant’ Ambrogio in Ponte Capriasca. Das Kunstwerk hat die Jahrhunderte dank der trockenen Luft unversehrt überstanden. Das Bild ist eine erstaunliche Sehenswürdigkeit, geheimnisumwoben, voll wertvoller Hinweise auf das kostbare Original in Mailand. Denn dieses musste wegen des feuchten Untergrundes mehrmals restauriert werden und ist deswegen in einem weit schlechteren Zustand als die Kopie. Rätselhaft und wohl niemals ganz zu klären ist der Ursprung des Bildes: Irgendwann Mitte des Sechzehnten Jahrhunderts soll es gemalt worden sein. Man vermutet Cesare da Sesto, einen der besten Schüler Leonardos als Urheber des Kunstwerkes, das von meisterhaftem Können zeugt.
http://www.ticinoweekend.ch/lugano/ponte-capriasca-abendmahl/
Castigliano Olona: Südlich von Lugano und Varese gelegen, ist unser nächstes Ziel. Im Ort steht das Geburtshaus von Kardinal Branda (*1360 - +1443). Der Kardinal gründete eine Schule für die Kinder des Ortes. Später erfolgte weiter südlich die Gründung in Pavia die Gründung einer Akademie, an der 200 Studenten pro Jahr unentgeltlich studieren durften. Der Grund für seine Initiative war das Anliegen, den Bischof von Mailand von der Übernahme des Bistums (Chur) abzuhalten. Kardinal Branda, päpstlicher Legat, war ein gelehrter Mann. Er lebte zur Zeit des Schisma (drei Päpste): 1350 – 1443. Er war Konzilsabgeordneter in Pisa, Konstanz und Basel. Seine Geschichte dürfte typische Merkmale der Renaissance aufzeigen: Die Denkrichtung der Menschen ändert sich allmählich: man bewegt sich weg von der Mystik hin zur Ratio. Die Menschen beginnen vom Diesseits in Richtung des Jenseits zu schauen. Die Renaissance ist nicht nur eine Wiedergeburt der Antike, sondern vielmehr ein Zusammenwirken der Kulturen, des griechischen und römischen Denkens: der Philosophie (Aristoteles u.a.), Literatur, und der Kultur der Völker (Mauren in Spanien, Juden, Christen). Im 14. Jh. begann eine Zeit großer Erfindungen (Sextant etc.). Die Pfarrkirche im Ort ist der erste Renaissancebau nördlich von Mailand. Auf einer Anhöhe steht die Collegiata Kirche mit wertvollen Fresken, die Szenen aus dem Leben Marias darstellen. Im Garten das Baptisterium, in dem Kardinal Branda getauft wurde. Die Fresken zeigen Szenen aus dem Leben des Hl. Johannes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Castiglione_Olona
Lugano - Santa Maria degli Angioli
Die großartigen Fresken in dieser Kirche konnten wir uns nur vorstellen, da das (auch architektonisch beeindruckende) Gebäude entgegen den Abmachungen geschlossen war. Unser Reiseleiter, Mag. Albert Ruetz versprach für das kommende Jahr eine Exkursion nach Lugano und Como um uns weitere Schätze zugänglich zu machen. Wir nützten die Wartezeit bis zur Rückkehr des Busses zum Austausch von Gedanken und genossen das südliche Ambiente.
An dieser Stelle sei unserem Obmann, Mag. Albert Ruetz, für die hoch interessanten, akribisch vorbereiteten Ausführungen und für die umsichtige Reiseleitung herzlich gedankt! Eine Recherche unter dem folgenden Link möge der Vorfreude auf die nächste Kulturreise dienen:
http://www.ticinotopten.ch/de/denkmaeler/kirche-santa-maria-degli-angioli-lugano
(Text Rosi Hillbrand, Fotos Helmut Köck, August 2016)