48 Jahre Rheticus-Gesellschaft

             Herzlich willkommen auf unserer Homepage! 

Villa Grünau und ihr Erbe: Pionier der Elektrotechnik Friedrich Schindler

Die sachkundige Stadt-Führerin Karin Fetz vermittelte den Rheticus-Teilnehmern eine faszinierende Erkundungstour zum Schindler-Park und zur Villa Grünau in Kennelbach.


Am 25. April 2024 begaben sich 24 Interessierte auf eine faszinierende Erkundungstour durch die Villa Grünau in Kennelbach. Unter der sachkundigen Führung von Karin Fetz wurden sie in die reiche Geschichte des Elektropioniers Friedrich Schindler eingeführt, einem Wegbereiter der Elektrotechnik und späteren Gründer der VKW.

 

Tradition und Innovation 

Zunächst ging es mit Karin Fetz in Richtung zum Schindler Areal.  Die Familie Schindler spielt in der Wirtschaftsgeschichte Vorarlbergs eine bedeutende Rolle. Die Familie Schindler, bekannt für ihre Textilproduktion, erweiterte ihre Tätigkeiten erfolgreich in die Elektrizitätswirtschaft und Elektrotechnik. Erbaut wurde das Firmengebäude zwischen 1836 und 1838. Der damalige Kreishauptmann Ebner meinte zu diesem Bau: „Es ist die kolossalste Fabrik Vorarlbergs.“ Es gab einen triftigen Grund die Spinnerei genau an diesem Ort zu errichten. Für eine mechanische Baumwollspinnerei benötigte man Energie. Und diese gewann man mit der Wasserkraft der Bregenzer Ache. Das erforderliche Wasser wurde von der Ache in einen Kanal abgeleitet und betrieb zwei unterschlächtige Wasserräder, die bereits eine Energie von über sechzig Pferdestärken lieferten. Aufgrund von Arbeitsmangel beschäftige man bald Fremdarbeiter aus dem Trentino.

 

Arbeitsbedingungen und Wandel

In den ersten Jahren betrug die tägliche Arbeitszeit 14 Stunden. 1869 wurde der Arbeitstag von 13 auf zwölf Stunden reduziert. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug demzufolge 72 Stunden. Frei hatten die Arbeiter und Arbeiterinnen lediglich am Sonntag und an Feiertagen. Die Kürzung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden war damals jedoch so besonders, dass die Arbeiter mit Musik und Gesang zum Wohnsitz des Fabrikanten Georg Luis Schindler zogen, um ihm „ein Ständchen zu bringen“. 1902 wurde die Tagesarbeitszeit auf 10 Stunden gesenkt und erst 1919 „das „Gesetz über den achtstündigen Arbeitstag“ erlassen. Schindler setzte sich nicht nur für technologische Innovationen ein, sondern auch für die Wohlfahrt seiner Mitarbeiter.

 

Die Textilwerke Schindler stellten 1968 die Produktion ein; nur ein Jahr später entstand der nach wie vor im Besitz der Familie befindliche Wirtschafts- und Gewerbepark.

 

Leben und Werk von Friedrich Wilhelm Schindler

Friedrich Wilhelm Schindler, geboren im Schweizer Kanton Glarus, trug maßgeblich zur Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft bei. Nach einer internationalen Ausbildung trat er in das elterliche Unternehmen ein und erwarb später Anteile daran. Seine Vision und Innovationskraft führten zur Gründung der Elektrowerke Jenny und Schindler OHG, die bahnbrechende Projekte wie das Kraftwerk Andelsbuch realisierten.

 

Bedeutung der Elektrizität

Auf der ersten elektrotechnischen Ausstellung in Paris 1881 erkannte er bereits die Bedeutung der Elektrizität und erwarb einen Edisonschen Stromgenerator, mit dem er zu Hause in Kennelbach die ersten Glühlampen in Österreich zum Leuchten brachte. 1884 rüstete er dann seine Spinnerei als ersten österreichischen Betrieb mit elektrischer Beleuchtung aus. 1891 nahm er ein kleines Wasserkraftwerk in Betrieb und verkaufte ab 1901 die überschüssige Energie an die Gemeinde Kennelbach zum Betrieb ihrer Straßenlaternen. Zur Versorgung des Bregenzer Stadtteils Rieden-Vorkloster baute er in Rieden ein leistungsfähigeres Kraftwerk und erwarb eine Konzession für Elektroinstallationsarbeiten. Er trug einen bedeutenden Teil zum Aufbau des Vorarlberger Stromnetzes bei und war treibende Kraft bei den Jenny & Schindler Elektrowerken, die 1916 in die Vorarlberger Kraftwerke umgewandelt wurde.

 

Elektra Bregenz

1898 erwarb Schindler die Firma Grimm & Co in Wädenswil bei Zürich und fusionierte sie mit der Firma Elektra des Wiener Ingenieurs Emil Siegmund. Hauptsitz des neuen Unternehmens Elektra Bregenz wurde ab 1901 Bregenz am Bodensee. Schon bald verfügte Elektra Bregenz über ein Produktprogramm mit mehr als 2.000 unterschiedlichen Artikeln. Neben Wasserkochern, Kaffeemaschinen, Bügeleisen und Fußwärmern nutze Schindler die Technologie der Elektrowärme unter anderem auch in Sterilisationsapparaten und Laborwärmeschränken.

 

Villa Grünau: Ein Ort der Innovation und des Luxus

Anschließend ging es in die Villa Grünau, Alt-Bgm. Reinhard Hagspiel erläuterte im Musiksaal den Teilnehmern die faszinierende Geschichte des „elektrischen Hauses“, wie es im Volksmund genannt wird. Die 1887 erbaute Villa im Stil des Historismus mit Mansarddach und Turmerker war bis 1950 Sitz der Fabrikantenfamilie Schindler und wurde anschließend vermietet. 1896 wurde der 80 m2 große Musiksaal in deutscher Neorenaissance an die Villa angebaut.

 

Viele Erfindungen aus dem Keller

Der Elektropionier Schindler lebte in der Villa, wo er auch viele seiner Erfindungen vornahm. Das prunkvolle Gebäude hatte er 1887 anlässlich der Hochzeit mit Maria Margaretha Verena Jenny von seinem Vater Samuel Wilhelm als Geschenk bekommen. Das prächtige Gebäude war ein Ort bedeutender Erfindungen. Schindler experimentierte im Keller der Villa mit Elektrizität.

 

Findiger Schlosser

Der praktische Mann hinter dem genialen Erfinder war aber der Schlosser Matthäus Zängerle (1860–1925). Er war wie schon sein Vater als Zwölfjähriger im Jahr 1872 in die Kennelbacher Fabrik eingetreten und blieb der Firma bis zu seinem Tod am 7. Jänner 1925 treu. In diese gut 52 Jahre fallen die umfassenden technischen Neuerungen in den beiden Schindler-Betrieben und die umwälzenden Erfindungen seines Chefs. In der Keller-Werkstatt konnte auch tatsächlich in der Nacht gearbeitet werden, da die Villa mit elektrischem Licht ausgestattet war. Alles, was sich Schindler an neuen Anwendungsmöglichkeiten für elektrischen Strom erdachte und konstruierte, wurde nun von Matthäus Zängerle ausprobiert und als Prototyp gefertigt. Ab etwa 1885 war Zängerle bei diesen epochalen technischen Neuerungen an vorderster Stelle tätig, ohne aber für die Nachwelt sichtbar geworden zu sein. Damit war sein Arbeitsgebiet aber nur unvollständig beschrieben. Er war auch oberster Elektriker und Leiter der Reparaturwerkstätte.

 

Das „elektrische Haus“

In der Bevölkerung wird die Villa Grünau auch als „elektrisches Haus“ bezeichnet, denn Friedrich Wilhelm Schindler hatte die Villa mit vielen seiner Erfindungen eingerichtet. So gab es bereits vor 1900 einen elektrischen Herd und ein Backrohr. Die Räume wurden elektrisch beheizt. Die Bediensteten wie das preußische Hausmädchen bügelten elektrisch und Schindler zündete seine Zigarre elektrisch an. Es gab sogar eine Staubsaugeranlage, die sich in einem Rohrsystem durch das ganze Haus zog. Auch die Garage verfügte über eine Besonderheit: das erste Automobil Kennelbachs um 1910 gehörte Maria Schindler und wurde auf einer Drehscheibe geparkt und konnte am Morgen wieder mit der Nase nach vor gekurbelt die Garage verlassen. Neben diesen damals einzigartigen Geräten ist die Villa auch mit allen Merkmalen eines Herrschaftsgebäudes ausgestattet: mit Wandmalereien, einem prunkvollen Musiksaal, einer großen Kuppel, kunstvollen Beleuchtungskörper sowie einer ausgedehnten Parkanlage.

 

1992 kaufte die Gemeinde das inzwischen sanierungsbedürftig gewordene Gebäude und brachte neben (Start)Wohnungen auch das Gemeindeamt unter.

 

Großer Park

Anschließend ging es in den 12.000 m2 große Park der Villa. Heute ist die Villa Grünau ein Ort der Erinnerung an die industrielle Vergangenheit Vorarlbergs und ein Ort der Erholung für die Gemeinde. Der Park, sorgsam gepflegt und genutzt für diverse Veranstaltungen, lädt Einheimische und Besucher zum Verweilen ein und ist ein lebendiges Zeugnis für das Erbe Friedrich Schindlers und seiner Familie.

 

Die Erkundung endete mit einem gemütlichen Beisammensein, bei dem selbst gemachter Punch von Karin Fetz serviert wurde, und alle Teilnehmer waren sich einig, dass sie ein wahres Juwel im Herzen Vorarlbergs entdeckt hatten.

 

(Bericht und Fotos: Helmut Köck, April 2024)